Im Autositz auf der Reise zum Monomaterial
Produkte ausschließlich aus einem Material – nur sinnvoll bei möglichst simplen Gegenständen? Ein Team von Ingenieuren und Kunststoffexperten will den Gegenbeweis antreten. Und produziert einen Autositz rein aus VESTAMID®. Dabei gewinnen sie wichtige Erkenntnisse darüber, wie Zirkularität gedacht, umgesetzt und vorangetrieben werden kann.
Der Kreislauf ist das Ziel. Eine zirkulare Produktion, in der Rohstoffe immer wieder neu recycelt und eingesetzt werden, würde zahlreiche Herausforderungen lösen. Sie wären nachhaltig, würden Ressourcen schonen und Abfälle vermeiden. Eines der zentralen Probleme bei dieser Vision: Viele unserer Alltagsprodukte sind hinsichtlich ihrer Werkstoffvielfalt ziemlich komplex. Je mehr unterschiedliche Stoffe aber eingesetzt werden, desto schwieriger gestaltet es sich mit dem Recycling: Werkstoffe müssten voneinander getrennt werden, sind jedoch oft untrennbar verbunden. „Je aufwendiger die Demontage, desto mehr stellt sich die Frage, ob der Aufwand gerechtfertigt ist“, fasst es Maximilian Rothe zusammen, Senior OEM Manager im Bereich High Performance Polymers Wie viel einfacher also wäre es, wenn Gegenstände aus einem einzigen Werkstoff bestünden?
Rothe hat sich genau diese Gedanken gemacht. Ein Monomaterialansatz war dabei sein Leitbild, also die Produktion von Gegenständen aus einem einzigen Werkstoff. Das bietet sich besonders bei Produkten an, die von vorneherein aus wenig verschiedenen Stoffen bestehen. Rothe und sein Team wollten aber bewusst mehr: Sie wollten austesten, was möglich ist. Und dabei auch selbst etwas darüber lernen, wie zirkuläre Nachhaltigkeit gedacht und geplant werden muss. Ein Autositz mit seinen unterschiedlichsten Anforderungen erwies sich als der ideale Demonstrator, um die Kompetenzen zu veranschaulichen.
„Wie schaffe ich das mit einer einzigen Kunststoffgruppe?“
Autositze müssen komplexe Anforderungen erfüllen. Stabil und robust soll das Gerüst sein, gleichzeitig braucht es eine Lehne und Auflagen, die Halt geben. Sie erfordern ein Gestell, müssen sich verstellen und einstellen lassen, benötigen also Schienen und Regler, dazu aber auch Fasern oder Schaumstoff für die Kopflehne und vieles mehr. „In einem Sitz sind vermutlich ein Dutzend unterschiedlicher Kunststoffgruppen verbaut“, sagt Rothe. Zusätzlich zu anderen Werkstoffen wie Metall für das Stahlgestell: „Unsere Frage war, wie schaffe ich das mit einer einzigen Kunststoffgruppe? Wir wollten proaktiv anders denken.“
Einer Kunststoffgruppe wie zum Beispiel VESTAMID®. Dahinter verbirgt sich eine ganze Reihe von langkettigen Polyamiden mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Diese Polyamide haben wichtige Eigenschaften gemeinsam – aber auch hilfreiche Unterschiede. VESTAMID® ist als Werkstoff generell leicht und beständig, trumpft in den jeweiligen Varianten allerdings mit einem breiten Spektrum auf: „Es lässt sich aufschäumen, extrudieren, spritzgießen, zu Fasern verspinnen und 3D drucken.
Der Sitz zeigt die Möglichkeiten des Materials
Rothe und sein Team finden einen Partner für ihr Vorhaben: die Experten der Vestaro GmbH, die ihre ingenieurtechnische Expertise darin einbringen, Bauteile für die Automobilindustrie zu entwickeln. So entsteht der Prototyp. „Der Sitz zeigt auf, welche Möglichkeiten im Material stecken“, schwärmt Klaus Heller, Projektingenieur bei Vestaro. „Es kann nicht nur harte Komponenten darstellen, sondern eben auch Vlies, Fasern, Schaum – aus einem einzigen Grundmaterial!“ Der Sitz ist damit auch eine Einladung an alle Kunden, gemeinsam mit Evonik kreativ zu denken, was noch alles möglich wäre im Bereich der Monomaterial-Idee.
Und er war auch, wie erhofft, ein Lehrstück, bei dem Rothe einiges gelernt hat darüber, was Arbeiten mit Monomaterial bedeutet: „Ich denke, es wird künftig sehr darauf ankommen, sich bereits vor Projektstart Gedanken zu machen, was es bedeutet, gezielt für Recycling zu designen“, beschreibt er es. Entstehen Produkte aus einem einzigen Material, ergeben sich dadurch auch Designchancen, manches wiederum muss anders als bislang gelöst und angegangen werden. „Wie denke ich eigentlich Recycling – das sollte unsere Leitfrage sein“, sagt Rothe.
Dazu gehört auch das Umfeld, in dem das jeweilige Produkt eingesetzt wird. Ein Gegenstand wie eine Zahnbürste, die von Evonik ebenfalls als Monomaterialprodukt umgesetzt wurde, wird alle paar Monate entsorgt. Von einem Auto erwartet man, dass es 15 Jahre und länger hält. Das hat Auswirkungen auf die damit verbundene Recyclingstrategie
Mit 60 Jahren Erfahrung zu neuen Denkansätzen
Seit über 60 Jahren ist Evonik einer der führenden Hersteller der Hochleistungspolymere und entwickelt die Produkte in enger Kooperation mit Kunden und Partnern in unterschiedlichen Industrien stets weiter. In der Automobilindustrie fand VESTAMID® schon früh Verwendung – insbesondere in Kraftstoffleitungen, aber auch in Kühlmittelleitungen oder rund um die Elektromobilität.
Rothe will aber auch weiter nach vorne schauen: Es schließt sich nämlich die Frage an, wie Nachhaltigkeit im gesamten Produktionsprozess umfassender gedacht werden könne. Dazu gehört konsequenterweise auch, dass durch einen intelligenten Einsatz von Material möglichst wenig Abfall anfällt. Und ebenso die Frage, wie einfach ein Produkt am Ende seines Lebenszyklus zu demontieren ist, um es tatsächlich dem Recycling-Kreislauf hinzuzufügen. Überlegungen, die durchaus komplex sein können, die aber alle davon abhängen, dass im ersten Schritt tatsächlich ein Produkt entsteht, das aus Monomaterial gefertigt ist – und diesen Schritt zumindest hat der Autositz von Evonik demonstriert.
„Sprecht mit uns. Was braucht ihr?“
„Das ist auch das Angebot, das dahinter an unsere Kunden steht“, sagt Rothe: „Kommt auf uns zu, sprecht mit uns, was euch wichtig ist. Was braucht ihr?“ Wenn ein Produkt aufgrund eines Monomaterials vielleicht Abstriche machen muss – was davon ist möglich, was ist unverzichtbar? Akzeptieren Kunden, wenn zum Beispiel ein nachhaltig produzierter Autositz nicht elektrisch verstellbar ist oder keine Sitzheizung hat? Und welche anderen Produkte wären möglich mit einem Material, das sich so umfassend nutzen lässt. Rothe ist überzeugt, dass noch völlig andere Ideen möglich sind. Über solche und viele andere Fragen möchte Evonik ins Gespräch kommen, bekräftigt er. Klar ist: Wenn der Kreislauf das Ziel ist, dann hat die Reise dorthin erst begonnen.